Am 8. Mai 1945 war es vorbei: Der Zweite Weltkrieg in Europa endete. Manfred Hübner (81) aus Köln erinnert sich gut, wie er im Februar 1945 vor der roten Armee ausreißen musste: „Auf unserer Flucht war es irrsinnig kalt, es gab irrsinnig viel Schnee. Ich saß als junger Knabe auf einem Pferdewagen – hinter uns die russischen Panzer.“ Auch Marianne Pollich (76) aus Erkrath, die als Vierjährige mit dem letzten Zug aus Cottbus entkam, gehen die Bilder der Flucht nicht mehr aus dem Kopf: „Ich sehe noch die Massen draußen stehen, die es nicht in den Zug geschafft haben.“
Obwohl das Kriegsende in Deutschland 72 Jahre zurückliegt, ist die Problematik nach wie vor aktuell. An vielen Orten der Welt wird erbittert gekämpft, ohne dass ein Frieden in Sicht ist – etwa in Syrien oder Afghanistan. Die Überlebenden tragen zumeist schwere Traumata davon.
Marianne Pollich und Manfred Hübner wollten nachfolgenden Generationen von ihren Kriegserlebnissen erzählen. Der Verein „Kriegskinder e.V. – Forschung, Lehre, Therapie“ hat sie und rund 50 weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu ihren Schicksalen im Zweiten Weltkrieg befragen lassen. Am 3. Mai wurde das gesammelte Material an das Institut für Geschichte und Biographie der FernUniversität in Hagen übergeben. Dort betreuen Forscherinnen und Forscher das Archiv „Deutsches Gedächtnis“, in dem Lebensgeschichten systematisch gesammelt und für wissenschaftliche Forschung zur Verfügung gestellt werden.
Die Interviews werden nach der „Oral History“-Methode geführt: Ohne Zeitdruck erzählen die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner vor Videokamera oder Mikrofon ihre Lebensgeschichte. Dr. Almut Leh, die das Archiv leitet, freut sich darüber, dass auch externe Unterstützer wie der „Kriegskinder e.V.“ den Bestand erweitern: „Von den 3.000 Interviews, die wir derzeit archivieren, stammen zwei Drittel aus eigenen Forschungsprojekten. 1.000 Interviews haben wir von anderen Wissenschaftlern und Forschungsinstitutionen übernehmen können. Das trägt zur thematischen Vielfalt unserer Bestände bei und ist für unsere Archivbesucher sehr interessant.“
Der Verein erhofft sich von der Übergabe, noch weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für Interviews gewinnen zu können. „Die Zeit drängt, denn viele Kriegskinder von damals verbringen ihre letzten Jahre mit uns und werden uns bald nur noch Erinnerungen an ihre Kindheit zurücklassen können“, mahnt die Vereinsvorsitzende Monika Weiß. Auch die Historikerin PD Dr. Karin Orth von der Universität Freiburg, die einen großen Teil der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt hat, verweist auf die Gedächtnisfunktion: „Für viele Interviewpartnerinnen und -partner ist es sehr wichtig, zu wissen, dass ihre Erinnerungen bewahrt werden.“
Manfred Hübner möchte zudem an junge Menschen in Europa appellieren, sich aktiv für den Frieden einzusetzen: „Das, was jetzt passiert, ist eine Frage des Engagierens oder Nicht-Engagierens.“