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„Siegen-Wittgenstein nimmt mehr Flüchtlinge auf als Ungarn“

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Siegen/Olpe – „Diesen Vortrag sollten alle hören, und zwar am besten mehrfach!“ Walter Linschmann, Juwelier und Porzellanhändler aus Eiserfeld, war beeindruckt, als jetzt in der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen ein ausgewiesener Experte die Konflikte im Nahen Osten und die daraus erwachsenen Schwierigkeiten in Europa erläuterte. Dem pflichteten viele der fast 100 Gäste aus Unternehmen, Politik und allen Teilen der Gesellschaft bei. Sie waren gekommen, um mehr über die Ursachen und Hintergründe der Flüchtlingswelle zu erfahren. Und die Botschaften des Gastreferenten, Prof. Dr. Andreas Dittmann vom Institut für Geographie der Universität Gießen, waren deutlich: „Wenn Europa sich nicht einigt, werden weitere Flüchtlinge zu uns kommen.“ Er gehe davon aus, dass die derzeitigen Fluchtbewegungen nur ein Beginn seien und der sekundäre, familiär bedingte Flüchtlingszustrom erst noch komme. Und für den Umgang damit bedürfe es guter Strategien. „Wir brauchen einen vernünftigen europäischen Verteilungsschlüssel. Es kann doch nicht sein, dass Ungarn insgesamt weniger Flüchtlinge aufnimmt als der Kreis Siegen-Wittgenstein in einem Jahr.“

„Wir brauchen einen vernünftigen europäischen Verteilungsschlüssel. Es kann doch nicht sein, dass Ungarn insgesamt weniger Flüchtlinge aufnimmt als der Kreis Siegen-Wittgenstein in einem Jahr", so die deutliche Aussage von Gastreferent Prof. Dr. Andreas Dittmann vom Institut für Geographie der Universität Gießen. Quelle: Industrie- und Handelskammer Siegen
„Wir brauchen einen vernünftigen europäischen Verteilungsschlüssel. Es kann doch nicht sein, dass Ungarn insgesamt weniger Flüchtlinge aufnimmt als der Kreis Siegen-Wittgenstein in einem Jahr“, so die deutliche Aussage von Gastreferent Prof. Dr. Andreas Dittmann vom Institut für Geographie der Universität Gießen. Quelle: Industrie- und Handelskammer Siegen

Neben einer europaweiten gerechten Verteilung sei ebenso eine kluge, europäisch einheitliche Außenpolitik erforderlich, die den Konflikt befrieden helfe. „Sich dabei an Deutschland und Frankreich zu orientieren“, rät Dittmann den Europäern. Und eine Warnung hatte der Professor an die Politik: Wenn man nicht wolle, dass die zweite Generation der Einwanderer – gleich welcher Herkunft – sich genauso verloren fühle wie in Molenbeek, dann müsse man alles dafür tun, dass die jungen Einwanderer hier integriert werden.

Da war er mit Felix G. Hensel, dem Präsidenten der IHK Siegen, einer Meinung. Dieser hatte zu Beginn der Veranstaltung betont: „Für uns als Wirtschaft gibt es zur Integration derjenigen, die auf Dauer hier leben werden, keine sinnvolle Alternative.“ Und dies geschehe eben am besten über den Beruf. „Deshalb gilt es, alles zu tun, dass derjenige, der arbeiten will und kann, dies auch darf. Und denjenigen zu helfen, die noch Unterstützung brauchen vom Sprachkurs bis zum Schulabschluss, damit sie dauerhaft in Arbeit kommen können“, forderte Hensel. Da fehle es nach wie vor an Systematik und an den dafür notwendigen finanziellen Mitteln.

Die Flucht aus Syrien und anderen Staaten hat laut Dittmann mehrere Ursachen. Eine seien die zerfallenden Staaten des Mittleren Ostens. Er zeigte mit Bildern, was das in Syrien bedeutet: Zerstörte Städte, Kulturgüter und archäologische Schätze sind unwiederbringlich verschwunden. Das Leben ganzer Generationen liege physisch und psychisch in Trümmern. „Dabei ist das die Wiege der menschlichen Zivilisation. Dort gab es die ersten Städte, dort wurde die Schrift oder auch das Rad erfunden.“

Sehr differenziert, betont sachlich und ausgesprochen kenntnisreich legte der Gießener Geograph dar, was im Nahen und Mittleren Osten passiert. In einem Vakuum nach dem Machtwechsel im Irak sei der IS entstanden. Die IS-Kämpfer sähen sich in einer religiös begründeten Endzeitschlacht, in der es um nichts weniger als den Sieg der „rechtgläubigen Muslime“ gehe. Deshalb sei ihnen von westlicher Seite kaum etwas entgegenzusetzen. Und je weniger der Staat funktioniere, desto mehr Menschen folgten diesem Ruf. Dazu kämen militärische „Berater“ aus dem Irak, deren Fachwissen und Material jetzt dem IS nutzen. Die Folgen: Inzwischen sind etwa 10 Millionen Syrer auf der Flucht, die Hälfte der Bevölkerung. Dieser Prozess begann Anfang 2011 – zum Zeitpunkt von Angela Merkels „Wir schaffen das!“ waren die meisten schon unterwegs. „Zäune werden nicht helfen“, das seien nur „Umleitungen“, denn der Druck auf die Syrer sei groß, zeigte Dittmann aber auch auf. Deshalb sei eine europäische Lösung unabdingbar.

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