Unweit der Stiftsruine wurden mehr als 40 Tote bestattet
Lippstadt – Damit hatte niemand gerechnet. Unweit eines der Wahrzeichen der Stadt Lippstadt, der malerischen Stiftsruine, kamen jetzt bei Bauarbeiten mehr als 40 Tote zum Vorschein. Eine echte Überraschung, die für die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) unverhoffte Einblicke in ein unbekanntes Kapitel der Stadtgeschichte ermöglicht. Die Gräber könnten Überreste eines ehemaligen Garnisonsfriedhofs aus dem 18. Jahrhundert sein.
„Dass sich an dieser Stelle ein Gräberfeld befindet, war nach den archäologischen Quellen bisher völlig unbekannt“, schildert Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen. Sein Archäologen-Team ist verständigt worden, als die Bagger bei der Erweiterung eines Geschäfts- und Modehauses an der Soesterstraße plötzlich auf menschliche Überreste stießen. Zunächst waren die Bauarbeiter mit drei Skeletten konfrontiert. Als die Archäologen tiefer Einblick in die Fundstelle nahmen, wurde schnell klar: „Hier sind mehr als 40 Menschen bestattet worden – wir haben hier ein ganzes Gräberfeld vor uns“, so Baales.
Bei den Toten handelt es sich fast ausschließlich um Männer. Sie mussten beinahe ausnahmslos im besten Alter ihr Leben lassen – nach etwa 30 bis 40 Lebensjahren. Wissenschaftlerkonnten das schon jetzt bei der Untersuchung der Skelette herausfinden. Sie entdeckten auch Zeugnisse von offenbar ärztlichen Eingriffen. So zeigt einer der Verstorbenen die Spuren einer nachhaltigen Kopfwunde. Mehr noch: Der Schädel wurde bei einem massiven ärztlichen Eingriff aufgesägt.
Die Verstorbenen wurden unweit der heutigen Stiftsruine akkurat in Reih und Glied in Holzsärgen bestattet. „Das deutet darauf hin, dass die Toten hier nicht eilig wie etwa nach kriegerischen Ereignissen bestattet wurden“, vermutet Baales. Bemerkenswert ist auch, dass bei den überwiegend noch relativ jungen Männern starke Abnutzungen an den Zähnen auffallen. Diese Abnutzungen zeigen Spuren, wie sie bei Pfeifenrauchern bekannt sind.
Da der Fund an dieser Stelle überraschend ist und in der kurzen Zeit seit der Entdeckung der Grabstelle nur wenige Informationen über den Fundort vorliegen, können die Archäologen vorerst nur vermuten, wann und warum die Toten hier beigesetzt wurden. In der Nähe soll es im 18. Jahrhundert ein Lazarett gegeben haben. Die Gräber könnten daher Überreste eines Garnisonsfriedhofs sein, der zu dieser Einrichtung gehörte, vermutet Dieter Mathmann von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Lippstadt.
In Münster gibt es einen interessanten ähnlichen Fundort: In der Stubengasse wurde – ebenfalls in der Nähe eines Hospitals – eine nicht reguläre Bestattung entdeckt, in der wie in Lippstadt überwiegend Männer beigesetzt wurden. Untersuchungen deckten auf, dass hier ebenfalls Schädel- und Bauchöffnungen vorgenommen wurden – offenbar im Rahmen von medizinischen Versuchen. Näheren Aufschluss über die Frage, ob die Toten in Lippstadt ebenfalls Gegenstand medizinischer Experimente waren, erhoffen sich die Archäologen und Vertreter der Stadt von weiteren Untersuchungen und Nachforschungen sowohl von Anthropologen als auch mithilfe der Historiker. Die Skelette werden deshalb nicht sofort wiederbestattet, sondern zunächst noch eingehend durch die Wissenschaftler untersucht werden.
An Ereignissen, die zu Verletzungen und Todesfällen führten, mangelte es in Lippstadt im 18. Jahrhundert nicht. In der Zeit, als Lippstadt eine Festungsstadt war, forderte der siebenjährige Krieg viele Opfer, die Franzosen zogen in die Stadt ein und nach ihnen die preußischen Husaren. Schlachten und Auseinandersetzungen waren Alltag.
Die archäologischen Untersuchungen werden vor Ort zum Ende der Woche beendet sein und anschließend an den Schreibtischen, in den Laboren und in den Restaurierungswerkstätten fortgesetzt werden, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
Text: lwl