Lüdenscheid (pmk) – Wie bringe ich Zuwandererfamilien mit Säuglingen und Kleinkindern dazu, die deutschen Unterstützungs- und Hilfsangebote im Bereich Gesundheit und Erziehung anzunehmen? So lautete die Fragestellung der Fachtagung „Gesund aufwachsen“ im Lüdenscheider Kreishaus.
Kreisdirektorin Barbara Dienstel-Kümper begrüßte an die 70 Tagungsteilnehmer/innen aus dem ganzen Kreisgebiet. „Insbesondere Familien, die erst vor kurzem nach Deutschland zugezogen sind, nehmen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die Angebote wenig in Anspruch“, erklärte Bernd Grunwald vom Kommunalen Integrationszentrum die Ausgangssituation. Dabei sei gerade der Zeitraum von der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Kleinkindalter entscheidend für die weitere gesundheitliche Entwicklung.
In einer Interviewstudie hatte Grunwald am Beispiel der Heiratsmigrantinnen aus der Türkei nach der Situation junger neu zugewanderter Mütter gefragt. Dabei wurden 16 Experten gehört, die aufgrund ihrer fachlichen Perspektive häufig Kontakt zu Eltern bzw. werdenden Eltern haben. Ihre Einschätzung: Gerade in der ersten Phase der Migration ist oftmals sehr viel Unterstützung auch von außen erforderlich, jedoch müsse das Hilfesystem innerhalb der Familie dabei sensibel berücksichtigt werden.
Frau Aydin-Canpolat, Sozialwissenschaftlerin von der Universität Duisburg-Essen, hat die familiären Zusammenhänge von türkisch-stämmigen Einwanderern erforscht. Sie stellte die enormen Unterschiede in Bezug auf Bildung, Religiosität, Kinderzahl zwischen den Einwanderern aus unterschiedlichen Regionen in der Türkei dar und stellte klar: Migrant ist nicht gleich Migrant. Als Ursachen für die Zugangsbarrieren zum bestehenden Hilfesystem machte Aydin-Canpolat an Hand von Studienergebnissen deutlich: fehlenden Kenntnisse, ein geringes monatliches Einkommen aber auch der starke interne Bezug zur Familie sorgen dafür, dass Angebote für Familien mit Kleinkindern wenig in Anspruch genommen werde. Stattdessen appellierte sie an die anwesenden Hebammen, Erzieher und Kinderärzte, genauer hinzuschauen, aus welchem Umfeld die Familie kommt und welche Ressourcen sie mitbringt und erst dann zu entscheiden, welche Form der Unterstützung erforderlich ist.
Die anschließenden Interviews mit Fachleuten aus dem Märkischen Kreis ergaben ein differenziertes Bild. Während Guido Kientopf als Kinderschutzfachkraft des Kreisjugendamtes aus seiner Erfahrung keine besonderen Auffälligkeiten bei zugewanderten Familien feststellen konnte, sahen Andrea Götz vom Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes des Kreises und ihre Kollegin vom Zahnärztlichen Dienst Dr. Kerstin Kötter-Jelitte schon deutliche Unterschiede in der gesundheitlichen Entwicklung. Sabrina Müller von der Stadt Plettenberg stellte als gutes Praxismodell die Plettenberg Runde vor, die dort seit 15 Jahren mit dem Fokus auf Kindergesundheit existiert. Valentina Nachtigall schließlich berichtete über ein aktuelles Projekt der Diakonie Mark-Ruhr, in dem Integrationsmittler für ihre Sprachmittlerfunktion im Bildungs- und Gesundheitsbereich ausgebildet werden und auf diese Weise die Kommunikation zwischen Gesundheitseinrichtungen und Betroffene verbessern können.
In den anschließenden sechs Diskussionsforen wurden gute Beispiele aus den verschiedenen beruflichen Perspektiven vorgestellt und gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Verbesserung der Praxis entwickelt. So unterstützen beispielsweise Interkulturelle Familienlotsen die Jugendämter in Neuenrade und Werdohl bei den Willkommensbesuchen bei Familien mit geringen Deutschkenntnissen.
Die Resonanz der Teilnehmer auf die Fachtagung war so positiv, dass im kommenden Jahr unbedingt eine Folgeveranstaltung erfolgen soll. Die umfangreichen Tagungsergebnisse werden vom Kommunalen Integrationszentrum in einer Dokumentation aufbereitet und sollen den Teilnehmern zur Verfügung gestellt werden. Mit der Interviewstudie und der Fachtagung setzte das Kommunale Integrationszentrum den Kreistagsbeschluss zum Arbeitsschwerpunkt „Integration als kommunale Querschnittaufgabe“ um.