Märkischer Kreis – Die Gemeinschaftsgrundschule Halver Oberbrügge (GGOB) ist die erste Grundschule in Nordrhein-Westfalen, die Kriegsgedenkstätten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft als außerschulische Lernorte entdeckt.
„Ob wir nun am Grab einer ukrainischen Zwangsarbeiterin oder eines russischen Kriegsgefangenen stehen oder eines kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gefallen deutschen Soldaten – im Tod sind alle gleich“, erklärt Verena Effgen vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge NRW (VDK) den Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse der Gemeinschaftsgrundschule (GGOB) in Halver Oberbrügge auf dem nahegelegenen evangelischen Friedhof. Die Sozialpädagogin stimmt Kinder und Kollegium auf ein neues Projekt ein: Im Rahmen der Landesinitiative „Bildungspartner NRW – Gedenkstätte und Schule“ geht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge NRW und dem Kreisarchiv des Märkischen Kreises eine Bildungspartnerschaft ein. Mit den Unterschriften des Landesvorsitzenden des VDK und NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, des Schulleiters Bernhard Ritschel und des Landrates und Kreisvorsitzenden des VDK Thomas Gemke wird die Partnerschaft am 28. Juni 2016 offiziell besiegelt.
„Erziehung zum Frieden“ steht bei diesem Projekt im Vordergrund. „Nur mit dem Wissen um die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft wird der Frieden auch in Zukunft gesichert werden können“, ist sich Verena Effgen sicher. Geplant ist unter anderem eine Gedenkstunde zum Volkstrauertag neu zu gestalten.
Als ersten Einstieg besuchte die Sozialpädagogin Effgen mit allen Klassen die Gedenkorte und erzählte die Geschichte der 16 Jährigen Zwangsarbeiterin Olga. „Die Kinder gehen ganz unvoreingenommen an das Thema heran“, sagt Klassenlehrerin Dorothea Scheibel nach dem ersten Projekttag mit dem VDK. „In der Klasse haben wir sofort Ideen entwickelt, wie wir die Gräber schöner gestalten könnten“, beschreibt Judith Herbers die positive Stimmung. Auch Verena Effgen ist ganz begeistert. Die gebürtige Oberbrüggerin war selber Schülerin an der Dorfschule.
Mit einem Kriegsmahnmal direkt vor dem Gebäude und zwei Kriegsgedenkstätten auf dem ca. 300 Meter entfernten evangelischen Friedhof ist der Wirkungskreis für Grundschulkinder überschaubar gewählt. Fünf sowjetrussische Kriegsgefangene und sechs deutsche Soldaten des Zeiten Weltkrieges liegen hier begraben. Eindrucksvoll sind auch die Geschichten um die ukrainischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft oder heimischen Betrieben untergebracht waren. „Mit den Schülerinnen und Schülern möchte ich herausfinden, wer diese Menschen waren“, erzählt die VDK Mitarbeiterin. Vielleicht können sich ja die Großeltern noch an die ein oder andere Geschichte erinnern. Fast die Hälfte der Kinder kommt aus Aussiedler- oder ausländischen Familien. Effgen geht es daher auch darum, Gesprächsanlässe in den Familien und mit eventuellen Zeitzeugen über das The-menfeld Drittes Reich, Krieg, Zwangsarbeit aber auch Flucht und Vertreibung mit durchaus aktuellen Bezügen zu schaffen.
Ohne wissenschaftlichen Hintergrund geht es aber nicht. Dabei kann der VDK und die Schule auf die Unterstützung des Kreisarchivs zählen, bei dem die Daten von rund 13.000 ehemaligen Zwangsarbeitern abrufbar sind. Allein in Halver sind 31 junge Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie 10 Kinder bestattet. Bereits 2001/2002 hatte Diplomarchivar Ulrich Biroth dem Thema angenommen und eine vielbeachtete Wanderausstellung mit dem Titel „‘…und nach Hause, in die Ukraine, kam ich 1950 …‘ – Geschichte der Zwangsarbeit im Märkischen Kreis“ konzipiert. Er hat sich auch bereit erklärt, nicht nur die historischen und biografischen Recherchen zu Zwangsarbeitern in Halver zu betreuen, sondern auch mit einer kleinen Auswahl an thematischen Exponaten und Dokumenten die Dorfschule zu besuchen und Unterricht mitzugestalten.