Kreis Siegen-Wittgenstein/Kreis Olpe – „Selten äußerten heimische Unternehmen derart gespaltene Konjunktureinschätzungen wie derzeit. Sowohl innerhalb einzelner Branchen als auch zwischen beiden Kreisen gibt es stark gegenläufige Entwicklungen. Im Kreis Olpe vermelden die Automobilzulieferer überwiegend „eitel Sonnenschein“. In den für die Siegerländer Wirtschaftsstruktur relevanten Unternehmen des Maschinenbaus sowie der Gießereien überwiegen massive Sorgen und im Wittgensteiner Land herrscht ein ausgeprägter, wenn auch nicht überschäumender Grundoptimismus.“ Mit diesen Worten fasste IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage zusammen, an der sich erneut die stolze Zahl von über 480 Unternehmen beteiligten. Der Konjunkturklimaindex stieg zum Jahresbeginn gegenüber dem Herbst 2015 von 112 auf 117 Punkte an. Sowohl Lage also auch Erwartungen werden besser eingestuft als im vergangenen Jahr: Deutlich mehr als ein Drittel aller Unternehmen stuft die Lage als gut ein, ein Viertel aller Betriebe erwartet künftig Steigerungen. Vor allem die Bauunternehmen, aber auch Handel und Dienstleitungen zeigten sich – alles in allem gesehen – durchaus zufrieden.
Zweifelsfrei wirkt der extrem gesunkene Ölpreis vorwiegend wie ein „Konjunkturdoping“. Auch der gegenüber dem Dollar sehr niedrige Eurokurs und die historisch tiefen Zinsen befördern die Geschäfte. „Ein geliehener Aufschwung, der verschleiert, dass die Unternehmen im Inland zu wenig investieren. Ein von kräftigen Investitionen in der Heimat getragener Aufschwung fühlt sich jedenfalls anders an. Das Strohfeuer könnte bald verpuffen“, fügte Klaus Gräbener hinzu: „Die weltweiten Überkapazitäten auf den Stahlmärkten werden uns schneller auf den Boden der Tatsache zurückholen als uns dies lieb sein kann. Wir erwarten hier eine länger andauernde Seitwärtsbewegung auf niedrigem Niveau. Und die Firmen, die damit umzugehen haben, spielen zumindest im Siegerland für die Gesamtbeschäftigung eine erhebliche Rolle.“
Dennoch schätzten die regionalen Unternehmen alles in allem gesehen ihre Ertragslage besser ein als zuvor. Immerhin 43 Prozent der Industriebetriebe melden Spitzenauslastungen (über 85 Prozent). Auch die Bauindustrie ist trotz Wintersaison gut beschäftigt. Im Großhandel ist die Stimmung nach dem Dämpfer im vergangenen Herbst wieder deutlich positiver. Bei Einzelhändlern und Dienstleistern verläuft die Konjunktur auf relativ hohem Niveau, allerdings jetzt in etwas bescheideneren Bahnen. IHK-Konjunkturexperte Stephan Jäger: „Die Rahmenbedingungen für den Konsum sind nach wie vor gut: die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Realeinkommen legten weiter zu, niedrige Zinsen und gesunkene Ausgaben für Öl und Kraftstoffe eröffnen den Privatleuten Ausgabespielräume.“
Zugleich bestünden erheblich gestiegene Konjunkturrisiken, insbesondere für das Auslandsgeschäft: Chinaschwäche, sich ausweitende geopolitischen Krisen, Terrorgefahren, wachsende Sorgen und europäischen Uneinigkeiten im Zuge des Flüchtlingsstroms, tatsächliche und befürchtete Beeinträchtigungen im europäischen Warenverkehr sowie zunehmende Unabwägbarkeiten für die gesamte Weltwirtschaft.
Auch die Aussagen zu den Aufträgen aus In- und Ausland können nicht wirklich überzeugen: Die Salden aus positiven und negativen Einschätzungen haben zugelegt, bleiben aber im negativen Bereich. Es ist zudem nicht alles Gold, was glänzt, erläutert Stephan Jäger: „Der niedrige Ölpreis schwächt Kunden und Länder, die vom Öl abhängig sind. Das spüren einige regionale Branchen schon jetzt sehr deutlich. Auf Dauer wird ein extrem niedriger Ölpreis zu einem hohen Risiko für die gesamte Weltwirtschaft. Auch die niedrigen Zinsen sind zum Beispiel für Finanzdienstleister eine große Herausforderung.“
Trotz positiver Gesamtaussage läuft es in manchen Zweigen alles andere als rund: etwa im „stahlnahen Bereich“ und bei den Lieferanten für die Grundstoffindustrie. Sinkende Rohstoffpreise sowie Krisen in vielen Schwellenländern, etwa in Brasilien, erschweren zusätzlich die Geschäfte. All das merken momentan vor allem Hersteller von Stahl- und Walzwerken und andere Investitionsgüterhersteller in diesem Bereich. Die regionalen Maschinenbauer schätzen die Auftragseingänge aus dem Ausland insgesamt deutlich ungünstiger ein als im vergangenen Herbst. Allein durch Auslandseinbußen von knapp 25 Prozent im Maschinen- und Anlagenbau im vergangenen Jahr ist das regionale Exportvolumen der Industrieunternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten gegenüber 2014 um insgesamt 2,3 Prozent geschrumpft; und dies, obwohl die anderen wichtigen Industriezweige überwiegend positiv bilanzierten. Insgesamt verlief der regionale Industrieumsatz in 2015 allerdings auf hohem Niveau.
Positivere Stimmen kommen aus dem Automotive-Sektor, von den Kunststoff verarbeitenden Unternehmen und der baurelevanten Produktion. Durch die unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in den Teilregionen fällt infolgedessen die aktuelle Stimmung der Industrie im Kreis Olpe deutlich besser aus als im Kreis Siegen-Wittgenstein. Aber auch dort werden erhebliche politische Risiken wahrgenommen. Klaus Gräbener: „Nicht auszudenken, wenn wieder flächendeckend Grenzkontrollen eingeführt würden. Unsere Industrie exportiert viel. Sie wäre davon also besonders betroffen. Wer die heimische Beschäftigung sichern will, sollte daher in der Flüchtlingsdebatte keine allzu hohen Zäune an den Grenzen fordern.“
Zu den Ergebnissen im Einzelnen:
Ein Drittel der Industrieunternehmen stuft die Lage als gut ein, nur 17 Prozent als „schlecht“. 43 Prozent verzeichnen Spitzenauslastungen (über 85 Prozent). 77 Prozent der Betriebe sind zu über 70 Prozent ausgelastet. Für fast jeden Dritten haben sich die Erträge verbessert. Rund ein Fünftel melden steigende Order aus dem In- und Ausland, jeweils ein Viertel aber auch fallende. Nicht in allen Industriebranchen läuft es rund. Trotzdem blicken die Unternehmen unter dem Strich wieder zuversichtlicher nach vorne als in 2015: Über ein Viertel erwartet künftig Zuwächse, nur 19 Prozent Rückgänge.
Mehr als jedes zweite Bauunternehmen schätzt die Lage „gut“ ein, nur 12 Prozent „schlecht“. Mehr als die Hälfte ist bis zur Spitze ausgelastet, für über 70 Prozent ist der Auftragsbestand ausreichend bis hoch. Ein Großteil von 72 Prozent der Betriebe setzt in den kommenden Monaten auf stabile Geschäfte, fast ein Viertel sogar auf bessere.
28 Prozent der Einzelhändler melden eine gute Lage, nur 14 Prozent ein schlechte. Die Kauffreude wird in etwa so eingestuft wie im vergangenen Herbst. Nicht überall läuft es aber zufriedenstellend: Textil- und Kfz-Händler beurteilen die Situation unerfreulicher, erwarten aber künftig bessere Geschäfte. Angesichts der günstigen Rahmenbedingungen bleibt der Einzelhandel im Hinblick auf die nahe Zukunft eher zuversichtlich: Fast ein Viertel der Betriebe erwartet Steigerungen, nur 19 Prozent Einbußen.
Knapp die Hälfte der Großhändler gibt eine gute Lage an, nur 11 Prozent eine schlechte. Sowohl der produktions- als auch der konsumnahe Bereich urteilt positiver als im Herbst des vergangenen Jahres. 29 Prozent aller Großhändler gehen von künftigen Zuwächsen aus, nur 13 Prozent von Rückgängen.
Die Stimmung der Dienstleister hat auf hohem Niveau etwas nachgelassen: Gleichwohl beschreibt fast jeder Zweite seine Lage als gut, nur 13 Prozent als schlecht. Verkehrsgewerbe und unternehmensnahe Dienstleistungen urteilen nicht mehr so positiv wie im September 2015, sind aber nach wir vor gut beschäftigt. Die sonstigen Dienstleister sind zufriedener als zuvor. Über alle Branchen hinweg ist der Blick nach vorn vorsichtiger geworden. Trotzdem sind 23 Prozent der Betriebe optimistisch eingestellt, nur 12 Prozent pessimistisch.