Siegen, 23. April 2012 – Berufspendler von und nach Wittgenstein brauchen Geduld und Nerven. Sie teilen sich den Weg mit Aldi-Lastern und Schwertransportern über die B 508 und die B 62, die in engen Kurven über viele Steigungsstrecken durch die Wittgensteiner Berge und durch enge Ortsdurchfahrten führen. Überholen ist lebensgefährlich und fast überall ausgeschlossen. Welche drastischen Auswirkungen es für die Wittgensteiner Kommunen auf Dauer haben wird, wenn im Straßenbau nichts geschieht, zeigte eine Einschätzung von Jörg Schorge, Geschäftsführender Gesellschafter des Erndtebrücker Eisenwerks, anlässlich eines Wirtschaftsgesprächs, zu dem die Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) die Erndtebrücker Unternehmen in die Edermühle eingeladen hatte: „Wir sind hier am falschen Standort. Nur weil wir hier gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter finden, ist der Standort attraktiv. Das kann sich eines Tages aber ändern“. Das Unternehmen ist trotz vorhandenen Gleisanschlusses auf zusätzliche Straßentransporte in erheblichem Umfang angewiesen. In Erndtebrück arbeiten bei EEW derzeit 520 Beschäftigte, in den weltweit sechs Betrieben mittlerweile 1550. EEW ist neben der Bundeswehr der größte Arbeitgeber der Gemeinde und hat einen gewichtigen Anteil daran, dass circa 70 Prozent aller Beschäftigten Erndtebrücks in der Industrie tätig sind.
Nicht nur Tagespendler sind von der schlechten Straßenanbindung betroffen, auch für Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Beschäftigte der Hachenberg-Kaserne, die an den Wochenenden zu ihren Familien fahren, wird die Fahrt zu einem allwöchentlichen Ärgernis. Das erklärte Oberstleutnant Jörg Sieratzki, Kasernenkommandant der Hachenberg-Kaserne im Wirtschaftsgespräch der IHK. Dabei ist es gerade erst gelungen, den Standort in Erndtebrück zu sichern und ihn als wichtiges Element in den Verteidigungsstrukturen der Nato zu festigen und auszubauen, denn von Erndtebrück aus wird nach Umsetzung der Strukturreform der Bundeswehr der komplette Luftraum des westlichen Bundesgebiets überwacht werden. Weitere Investitionen sind in naher Zukunft zu erwarten. Dann wird der Standort voraussichtlich über die heutigen circa 750 Angehörigen hinaus um weitere 200 Soldaten aufgestockt. Die Bundeswehr ist für Erndtebrück ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurden und werden hier circa 33 Millionen Euro investiert. Darüber hinaus gibt es derzeit ernsthafte Überlegungen, die in der Hachenberg-Kaserne angesiedelte Ausbildung für die Führung von taktischen Luftstreitkräften künftig auch Angehörigen anderer NATO- und EU-Nationen anzubieten. Allerdings, so Sieratzki, sind circa zwei Drittel der Bundeswehrangehörigen Pendler, die an den Wochenenden ihre Familien aufsuchten und sich wünschten, „schneller rein und raus“ zu kommen.
Bürgermeister Karl Ludwig Völkel betonte, dass „quer über alle Ratsfraktionen hinweg“ die von Unternehmen und Arbeitnehmervertretern ins Leben gerufene Initiative „Route 57“ unterstützt werde. „Wir stehen voll dahinter“, so Völkel. Die Initiative setzt sich für eine rasche Verbesserung der Straßenanbindung zwischen Kreuztal und den Wittgensteiner Kommunen ein. Sie unterhält auch eine eigene Internetseite www.route57.info, die Informationen über Entlastungsmaßnahmen für die einzelnen Streckenabschnitte enthält.
Franz J. Mockenhaupt, Hauptgeschäftsführer der IHK, appellierte an die Teilnehmer der Runde, sich an den Diskussionen im anstehenden Landtagswahlwahlkampf zu beteiligen und die Landtags-Kandidaten mit dem Problem der Verkehrsanbindung zu konfrontieren. „Wir müssen alles tun, um sowohl die Bundeswehr als auch die Unternehmen an unserer Region zu binden. Im Jahr 2015 wird der Bundesverkehrswegeplan fortgeschrieben. Dann werden die Weichen dafür gestellt, wie es mit der Verkehrsanbindung Wittgensteins weitergeht“.
Erndtebrück ist mehr als andere Kommunen im IHK-Bezirk vom demographischen Wandel betroffen. Im Zeitraum von 1980 bis 2011 hat die Gemeinde mehr als zehn Prozent ihrer Bevölkerung verloren, so viel wie keine andere Kommune im Bezirk der IHK Siegen. Auch um diese Herausforderung anzunehmen ist die Edergemeinde wie alle Kommunen in Wittgenstein auf eine leistungsfähige Verkehrsanbindung angewiesen.