Siegen, 6. Februar 2013 – Wenn ein Streit eskaliert und bereits Gerichte eingeschaltet sind, kämpfen die Parteien nicht selten mit „harten Bandagen“. Dabei geraten zunehmend auch die Gerichtssachverständigen ins Kreuzfeuer der Auseinandersetzung. Schnell wird ein Befangenheitsantrag gestellt. Was kann ein Sachverständiger tun, damit keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen? Wie sollte er sich verhalten, wenn er mit dem Vorwurf konfrontiert wird, voreingenommen zu sein? Auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) folgten jetzt circa 50 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige und Richter dem Vortrag eines erfahrenen Juristen, der den Anwesenden viele praktische Tipps für die Tagesarbeit mit auf den Weg gab.
Prof. Jürgen Ulrich, Vorsitzender Richter am Landgericht Dortmund, riet den Sachverständigen, Befangenheitsanträge gelassen zu begegnen: „Oft genug stecken dahinter prozesstaktische Überlegungen“. Auf keinen Fall sollten sich Sachverständige zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen, wenn ihr Gutachten von den Parteien „zerrissen“ und womöglich ihre fachliche Qualifikation in Frage gestellt werde. Manchmal zielten Prozessvertreter mit ihren verbalen Angriffen nur darauf ab, unbedachte Äußerungen des Gutachters zu provozieren und dann sofort einen Befangenheitsantrag zu stellen. „Heute folgen etwa 90 Prozent der Gerichte den Feststellungen der Sachverständigen“, so Ulrich. Deshalb liege es auf der Hand, dass die Partei, der die Ergebnisse des Gutachtens nicht gefalle, alle zulässigen Mittel nutze, um die eigene Position zu verteidigen. „Manchmal geht es auch nur darum, Zeit zu gewinnen“, so der Referent.
Die Gefahr, von einer der streitenden Parteien als parteiisch angesehen zu werden, begleitet alle Arbeitsschritte des Sachverständigen. Besonders groß ist sie bei Ortsterminen. „Vergessen Sie nicht, alle Beteiligten zum Termin einzuladen. Vermeiden Sie Gespräche mit den Parteien. Beschränken Sie sich darauf, Ihre Feststellungen als Sachverständiger zu treffen. Hüten Sie sich davor, die Befunde bereits an Ort und Stelle zu bewerten. Sparen Sie sich das für Ihr Büro auf.“ Anhand umfangreicher Rechtsprechung zeigte der Referent, wie häufig unbedachte Äußerungen oder kleine Versäumnisse in der Vergangenheit schon zum Entzug des Gutachtenauftrags geführt haben. „Es kommt nicht darauf an, ob der Sachverständige befangen ist, sondern darauf, ob er befangen sein könnte“. Statt mit den Parteien zu diskutieren, solle der Sachverständige bei Schwierigkeiten stets das Gericht informieren und dessen Entscheidung abwarten. „Und das schriftlich“, so der Referent, „damit der ganze Vorgang aktenkundig und damit nachvollziehbar wird.“
Derzeit sind bei der IHK Siegen 35 Sachverständige für unterschiedliche Sachgebiete öffentlich bestellt und vereidigt. Im bundesweiten Sachverständigenverzeichnis sind insgesamt circa 8500 Spezialisten unter der Internetadresse www.svv.ihk.de abrufbar. Sachverständige werden neben den IHKs auch von anderen Kammerorganisationen bestellt.