Siegen – „Es wird schwieriger nach so vielen Jahren noch unveröffentlichtes oder vergessenes Filmmaterial über unsere Region Siegerland und Wittgenstein zu recherchieren und aufzubereiten. Aber wir werden noch immer fündig“. Mit diesen Worten begrüßte Alexander Fischbach Inhaber der in Siegen ansässigen Filmproduktion mundus.tv am Mittwoch die Pressevertreter im Siegerlandmuseum Oberes Schloss. Seit dem Jahr 2005 engagiert sich der Siegener in Kooperation mit dem Kreisarchiv des Kreises Siegen Wittgenstein und zahlreichen Förderern aus der heimischen Wirtschaft für den Erhalt professioneller historischer Filme aus dem Kreisgebiet und seinen Nachbarregionen. In den Archiven des Westdeutschen Rundfunks konnten nun gleich drei historische Filme ausgewählt werden welche seit ihrer Erstausstrahlung nicht wieder gezeigt wurden.
Wir schreiben das Jahr 1964. Der WDR strahlt eine Reportage mit dem Titel „Sorgen in Siegen“ aus. Sorgen in Siegen? Mitten im Wirtschaftswunder? Die Siegerländer Industrieprodukte und Unternehmen haben einen weltweit hervorragenden Ruf! Ist doch das Siegerland das älteste Industriegebiet Europas, mit einer Verhüttungsgeschichte welche bereits 500 v. Chr. begann! Aber genau diese Spezialisierung macht der Siegerländer Wirtschaft zu schaffen. Viele der letzten noch in Betrieb befindlichen Eisenerzgruben und Hüttenbetriebe stehen kurz vor ihrer Schließung. Stillgelegte Gruben und einsame Fördertürme zeugen von diesem Niedergang. Das Siegerland befindet sich mitten im Strukturwandel. Im Haus der Siegerländer Wirtschaft kommen neben dem Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen Dr. von Kropf weitere Wirtschaftsvertreter zu Wort. Das die Region den Strukturwandel positiv meistert hat auch etwas mit der Siegerländer Findigkeit zu tun, sich auf neue Absatzmärkte und neue Produkte einzustellen. So liefern Siegerländer Betriebe beim Bau der A45 – deren Baustellen im Film gezeigt werden – gleich sämtliche Leitplanken und Stahlprodukte. Und weil man einmal dran ist, verpassten die Siegerländer den meisten Kreis- und Landesstraßen ebenfalls Leitplanken. Aber auch die Elektrotechnik und die kunststoffverarbeitende Industrie hält Einzug in die Produktionsprozesse und Portfolios der Unternehmen. Elektronische Buchungsmaschinen aus dem Siegerland sind heiß begehrt. Das die WDR Redakteure den gerade im Bau befindlichen Biggesee dem Siegerland zugeordnet haben soll nicht weiter stören, denn die Aufnahmen der noch nicht gefluteten Täler und kurz vor dem Abriss befindlichen Ortschaften sind auch heute noch beeindruckend.
Nur wenige Jahre später 1968 wurde das Siegerland, Wittgenstein und das Sauerland mit einer großen 45minütigen Fernsehdokumentation vorgestellt. Unter dem Titel „Reisen in Deutschland“ präsentierte der Westdeutsche Rundfunk Landstriche und Regionen in Nordrhein Westfalen. Eine Folge widmete die Sendereihe der hiesigen Region. Es ist die Zeit in der Heerscharen von Deutschen mit Ihren VW Käfern, Goggomobilen oder Isettas Italien unsicher machen. Urlaub im eigenen Land, wohlmöglich noch in der eignen Region: Undenkbar! Um diese schwierige Ausgangslage zu meistern setzen die Filmemacher auf eine besondere Art der Präsentation. Mit einer Portion Humor bereisen die Schauspieler Traudl Hoh, Rosemarie Jaegler und Gig Malzacher das Siegerland, das Wittgensteiner Land sowie das Sauerland. Gastauftritte von Jürgen von Manger, seinerzeit ein begnadeter Kabarettist tragen ihr Übriges dazu bei. Die Reisenden gehen der Frage nach was man wohl im Sommer in Winterberg so treibt? Oder welche Kurorte angesagt sind? Wir vergegenwärtigen uns: Es sind die 60er Jahre. Kneipen, Wassertreten und Kuraufenthalte sind gefragt wie nie zuvor. Aber auch die Fuchsjagd in Berleburg zur Musik von Bonanza lässt die 60er Jahre wieder lebendig werden. Von der Sieg, Lahn und Ederquelle geht es über zahlreiche Orte und Institutionen weiter Richtung Siegen. Der Hinweis der Sprechers „dass die Siegener immer eine Krone über sich sehen“ lassen wir einmal dahingestellt. Künstlerische Unterstützung erhalten die Schauspieler von dem seinerzeit angesagten Sänger Ernst Stankovski welcher im Siegerlandmuseum Wieland den Schmied besingt, oder das Wandern in Walpersdorf und Nenkersdorf und vieles mehr. Dort ist auch der Kohlemeiler in Betrieb. Und wer soviel wandert und erkundet lässt es sich gerne beim Bierbrunnenfest in Krombach gut gehen und löscht dort seinen Durst mit einem frischen Pils. Ein Besuch der Freilichtbühne und des historischen Stadtkerns von Freudenberg ist selbstverständlich obligatorisch. Und plötzlich hört man es wieder das prägnante rollende „R“. Die Männer und Frauen vom Backes in Grissenbach haben den Ofen schon mit Schanzen angeheizt. Ob wohl unsere reisenden Damen auch ein Stück vom frischen Schanzenbrot ab bekommen?
Vieles kommt vor was hier nicht beschrieben werden kann. Der besondere Reiz dieser Reisereportage ist das Aufleben des zum Greifen nahe liegenden Flairs der 1960er Jahre.
Manchmal schrullig, bisweilen auch etwas skurril aber alles in allem wunderbar nostalgisch.
Ein großer Sprung in das Jahr 1985 macht die Reportage „Mit Rute, Beil und Knipp“. Haubergsgenossen in Walpersdorf beginnen früh im Jahr mit der Aufteilung des Schlages. Ein Fernsehteam des Westdeutschen Rundfunks begleitet die Männer und Frauen bei Ihrer Arbeit und stellt die im Siegerland seit Jahrhunderten einzigartige Form der Niederwaldwirtschaft die bis heute genossenschaftlich betrieben wird vor. Wer weiß heute noch wie groß die Bedeutung des Haubergs für den wirtschaftlichen Erfolg einer der ältesten und bedeutendsten Montan- und Industrieregionen Europas war? Freilich: Diese Bedeutung hat der Hauberg auch wenn es ihn in seiner genossenschaftlichen Form noch heute gibt verloren. In früheren Zeiten lieferte er neben dem Holz für die Holzkohleherstellung im Kohlenmeiler – Lohe für die vielen Gerbereien sowie Schanzen und Reisig für die Backhäuser. Und auch die landwirtschaftliche Zwischennutzung war von Bedeutung. Einzig nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte der Hauberg in den 1950er Jahren noch einmal seine ursprüngliche Bedeutung. In den folgenden Jahrzehnten war das Interesse an der Arbeit im Hauberg gering. Energie war billig. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre entwickelte sich nicht zuletzt wegen der Ölkrise wieder ein Interesse. Die Genossenschaften begannen erneut mit der Arbeit im Hauberg, jedoch vornehmlich zur Versorgung der Genossen mit Brennholz für die heimischen Kaminöfen. Besonders einprägsam sind die in diesem Filmbeitrag genutzten historischen Filmaufnahmen. Sie lassen die beschwerliche Arbeit im Hauberg erahnen.
Die drei historischen Filme wurden nun zu einer DVD zusammengestellt und sind ab sofort über den regionalen Buchhandel sowie das Bestelltelefon: 0271-6819606 erhältlich.