Siegen – „Natürlich kann bei uns jeder mitmachen – aber wir haben da im Eingangsbereich Stufen.“ So – oder so ähnlich reagieren viele Veranstalter von Freizeitaktivitäten oder kultureller Angebote im Kreis Siegen-Wittgenstein, wenn es um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an ihren Veranstaltungen geht. Meist sind Menschen mit Beeinträchtigungen grundsätzlich willkommen. Oft behindern aber Treppen, fehlende Leitsysteme oder Hörhilfen sowie nicht vorhandene rollstuhlgerechte sanitäre Anlagen die Teilnahme an Sport-, Kultur- oder anderen Freizeitveranstaltungen.
Der Kreis Siegen-Wittgenstein hat sich in seinem Regionalen Entwicklungskonzept das Ziel gegeben, möglichst alle Menschen in die Lage zu versetzen, ganz selbstverständlich am öffentlichen Leben teilzunehmen. „Es geht dabei also nicht um irgendwelche speziellen Extras, sondern darum, Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu verwirklichen“, unterstreicht Landrat Andreas Müller. Ein Anliegen, das sich als Zielvorgabe auch im 1. Inklusionsbericht des Kreises wiederfindet.
Um diesem Ziel im Freizeit-, Sport und Kulturbereich näher zu kommen, haben Kreis und der Kreuztaler Verein INVEMA ein auf drei Jahre angelegtes Projekt auf den Weg gebracht. Im Rahmen des Projektes sollen Veranstalter in die Lage versetzt werden, die Erfordernisse von Menschen mit Einschränkungen bei der Planung und Durchführung ihrer Veranstaltungen im Blick zu haben, um diese möglichst barrierefrei zu machen. Dabei wird der Verein die Veranstalter unter anderem mit einem zentralen Hilfsmittelpool unterstützen.
Barrierefreiheit betrifft aber nicht nur Menschen, die auf den Rollstuhl oder den Rollator angewiesen sind. Betroffen sind auch Menschen mit Hör- oder Sehbeeinträchtigung, gehörlose und blinde Menschen sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten. Darüber hinaus sind aber auch andere Personengruppen in verschiedenen Lebensphasen auf Barrierefreiheit angewiesen: Schwangere, Familien mit Kinderwagen, Menschen, die vorrübergehend erkrankt sind oder alte Menschen. Kurzum: Barrierefreiheit ist letztlich ein Thema für jeden!
Um Vereine, Initiativen oder andere Veranstalter aus den Bereichen Freizeit und Kultur bei dem Abbau der Barrieren zu unterstützen, setzt das Projekt „Barrieren abbauen – Teilhabe ermöglichen“ auf mehreren Ebenen an. Zum einen wurden Arbeitshilfen erstellt – zum Beispiel zu den Themen „Finanzierungsmöglichkeiten zur Herstellung von Barrierefreiheit“, „Barrierefreie Veranstaltungsorganisation“ oder „Was bedeutet Barrierefreiheit für verschiedene Zielgruppen?“. Die Arbeitshilfen sind ab sofort in digitaler Form beim Verein INVEMA e.V. erhältlich. Selbstverständlich ist auch – im Sinne der Barrierefreiheit – an die Herausgabe sämtlicher Arbeitshilfen in Brailleschrift oder „Einfacher Sprache“ gedacht!
Passend dazu wurden Fortbildungsveranstaltungen konzeptioniert, die INVEMA e.V. auf Einladung von Vereinen oder Veranstaltern durchführen kann. Auch zu Beratungszwecken kommen die Projektleiter Daniela Dickel und Jonas Schäfer gerne vor Ort und nehmen die Veranstaltungsorte oder auch die konkreten Veranstaltungen der Freizeit- und Kulturanbieter unter die Lupe, um Möglichkeiten auszuloten, Barrierefreiheit zu fördern.
Ein weiterer Projektbaustein möchte Menschen mit Handicaps helfen, sich vorab zu informieren, ob und wie barrierefrei ein Veranstaltungsort ist, den sie vielleicht besuchen möchten. Hierbei arbeitet das Projekt von Kreis und INVEMA eng mit der vom Land geförderten Agentur Barrierefrei NRW und der Universität Siegen zusammen. Mit Hilfe dieser Kooperationspartner werden Freizeit- und Kulturstätten von so genannten „Barrierecheckern“ professionell unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse werden landesweit gesammelt und können auf dem Internetportal „informierbar.de“ abgerufen werden. In diesem Zusammenhang planen die Projektmitarbeiter von INVEMA den Aufbau eines kreisweiten Netzwerkes von „Barrierecheckern“.
„Sehr wichtig für das Projekt ist aber auch die Zusammenarbeit mit den Betroffenen selbst als ´Experten in eigener Sache´“, betont Projektleiterin Daniela Dickel. „Zum einen, weil sie am besten wissen, was ihnen hilft, und zum anderen, weil das Projekt vom Feedback der Betroffenen profitiert und man auf diese Weise am besten nachbessern kann, wenn es etwas zu verbessern gibt.“ Darum hält das Projekt den Kontakt zu diversen Selbsthilfegruppen aus der Region und nimmt Anregungen und Kritik auch von nicht-organisierten Betroffenen gerne auf. „Wichtig ist auch, dass Menschen mit Behinderung von den barrierearmen Veranstaltungen überhaupt erfahren“ führt Daniela Dickel aus. „Oft haben Veranstalter z.B. Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung oder gehörlose Menschen bei ihren Planungen nicht im Blick. Bietet man bei einer Veranstaltung aber z.B. Gebärdendolmetscher an, sollte man unbedingt im Vorfeld öffentlich darauf hinweisen, damit diese Zielgruppe das auch erfährt.“
Um möglichst vielen Veranstaltern die Möglichkeit zu bieten, die eigene Veranstaltung barrierearm zu gestalten, sieht das Projekt außerdem vor, einen „kreisweiten Hilfsmittelpool“ aufzubauen. Dieser soll zum Beispiel mobile Rampen, eine tragbare und überall verlegbare Induktionsanlage sowie Rollstühle, Rollatoren und weiteres Equipment enthalten.
Veranstalter können sich aus diesem Pool dann das ausleihen, was den Notwendigkeiten ihrer Veranstaltung entspricht. Der Verleih soll außerdem durch einen Anhänger, in dem die Hilfsmittel gelagert werden, für die Veranstalter problemlos möglich werden.
„Bei all diesen Unterstützungsangeboten ist aber eine Voraussetzung nach wie vor die wichtigste“, so der Geschäftsführer des Vereines INVEMA e.V. aus Kreuztal, Stephan Lück: „Die Bereitschaft der Menschen Vielfalt zu leben und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung wahrzunehmen und mitzudenken. Nicht nur Inklusion, sondern auch Barrierefreiheit beginnt im Kopf!“