Siegen – Die IHK Siegen steht der regionalen Wirtschaft stets als zuverlässiger Ansprechpartner für alle Fragen der beruflichen Bildung zur Seite. Daher bietet sie Personal- und Ausbildungsverantwortlichen seit 2011 mit einem neuen Veranstaltungsformat eine Plattform zum intensiven Erfahrungsaustausch.
Das „Ausbildungs-Forum“ fand am 08. Oktober bereits zum dritten Mal statt und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Die 300 Sitzplätze im Foyersaal der Siegerlandhalle konnten dem Andrang in diesem Jahr sogar nicht mehr standhalten, so dass nachbestuhlt werden musste.
Leider stehen im Gegensatz dazu die Zeichen bei den Auszubildenden ganz und gar nicht auf Wachstum.
„Bis 2019 verlieren die beiden Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe über 1.200 ihrer Schulabgänger. Das ist ein Drittel derer, die dort jährlich in Industrie, Handel und Handwerk eine Lehre beginnen“, zeigt IHK-Präsident Klaus Th. Vetter gleich zu Beginn die Problematik auf. Neben dem demografischen Wandel sei hierfür auch die immer stärkere Akademisierung der jungen Menschen verantwortlich: „Viele entscheiden sich heute schon für ein Studium und gegen die Lehre. Dabei brauchen wir deutlich mehr Indianer als Häuptlinge.“
Wie man diesem Trend entgegen wirken kann, erklärte Frank Menzel von der Deutschen Ausbilderakademie Smadias. Er zeigte auf, warum Ausbilder und Azubis unterschiedliche Werte teilen: „Jedes Jahr beginnen 16-jährige Auszubildende eine Lehre. Der Ausbilder jedoch wird immer ein Jahr älter.“ Dadurch passiere es, dass die falschen Kanäle genutzt und potenzielle Azubis gar nicht mehr erreicht werden. „93 Prozent der Jugendlichen informieren sich auf der jeweiligen Firmenhomepage über Arbeitgeber und Stellenangebote. Nur 59 Prozent nutzen hierfür Zeitungsanzeigen. Doch leider ist dies genau das Medium, was von den meisten Unternehmen zur Rekrutierung neuer Azubis genutzt wird“, legt er die Fakten auf den Tisch.
Denn vielen Personal-Verantwortlichen ist das Internet noch immer suspekt. „Doch man hat nicht die Wahl, ob man dabei sein will oder nicht. Man ist längst dabei“, sorgt Menzel für erschrockene Gesichter im Publikum. Und diesen Worten folgen Beweise: Seiten wie kununu oder bizzwatch werden längst von tausenden Jugendlichen genutzt, um Chef und Unternehmen anonym zu bewerten. Hier ist jeder „dabei“, der von jemandem eingetragen wird. „Daher ist es wichtig, sich im Netz selbst zu präsentieren und dabei authentisch zu bleiben“, weiß Frank Menzel.
Wie wichtig dies ist, zeigt er anschließend anhand einiger Rekrutierungsvideos auf Youtube. „Total unprofessionell“, „peinlich“ und „eine Lachnumer“ sind die Kommentare der Personal- und Ausbildungsverantwortlichen zum Video eines Friseurbetriebes. Dass aber genau diese „unprofessionelle“, lockere Art bei den Jugendlichen ankommt, zeigen die Zugriffszahlen: Schon 150.000 mal wurde der Clip angesehen. Es folgt das Video eines Autobauers. Das kommt beim Publikum gut an und erhält viel Lob. Anders sehen dies jedoch die Azubis in spe: „Überhaupt nicht authentisch!“ ist noch ein netterer der vielen negativen Kommentare, die sich fast schon shitstormartig unter dem Video tummeln. „Man muss sich die Brille der Azubis aufsetzen“, zieht Menzel ein Fazit.
„Vor fünf Jahren konnten sich die Betriebe ihre Azubis aussuchen. In fünf Jahren sind es die Azubis, die aussuchen“, fährt Klaus Gräbener von der IHK Siegen fort. Und schon heute sei der Ruf des Unternehmens den Azubis sogar wichtiger als das Gehalt. „Die Firmenhomepage muss also zielgruppengerecht gestaltet sein“, weiß Gräbener. Daneben sollte man sich auf veränderte Anforderungen an Bewerber einstellen: „Wir bekommen bald amerikanische Verhältnisse. Die Hälfte aller Jugendlichen nimmt ein Studium auf, ein Viertel ist gar nicht arbeitsfähig, so dass nur ein Viertel der ohnehin schon geschrumpften Menge der ausbildungswilligen Jugendlichen alle Stellen abdecken muss.“ Dadurch müsse man sich Bewerbern zuwenden, die man vor ein paar Jahren vielleicht gar nicht eingestellt hätte.
Wie das geht, wurde im Anschluss in fünf Workshops erarbeitet. „Oft haben Ausbilder das Gefühl, dass früher alles besser war: Die Azubis waren zuverlässiger, reifer und hatten ein besseres Sozialverhalten“, weiß Ausbilder Sascha Erlebach von AWZ Bau. „Erziehung hat sich in den letzten dreißig Jahren stark verändert und man sollte wissen, wie man dem richtig entgegensteuern kann“, fährt er fort. Heutzutage werden ganze 30-40 Prozent der Arbeitszeit ausschließlich für Disziplinartätigkeiten verwendet. Doch es ginge auch anders: Mit mehr Verständnis, Konsequenz und Hilfsangeboten. So sei es sinnvoll, in einem Ausbildungshandbuch festzuhalten, was man von seinen Azubis erwarte. Hier seien auch keine Selbstverständlichkeiten wie Pünktlichkeit fehl am Platz, denn „man kennt den Stand der Jugendlichen nicht.“
Christoph Wild von der Viega GmbH & Co. KG erläuterte anhand dreier Fallbeispiele, wann Abmahnungen sinnvoll sind und in welchen Fällen man Konflikte auch anders lösen könne. „Oft kennen die Ausbilder selbst die richtige Gesetzeslage nicht – wie zum Beispiel bei Samstagsarbeit für Minderjährige“, stellte Wild fest. Diese ist übrigens verboten. Wenn man sich unsicher ist, könne man die Rechtsberatung des Arbeitgeberverbandes kontaktieren.
Helfen weder Gespräche noch Abmahnungen, kann als letzte Instanz der unabhängige Schlichtungsausschuss der IHK zu Rate gezogen werden. „Klare Regeln müssen klar kommuniziert werden. Das Brechen einer Regel muss dann aber auch eine Konsequenz haben“, stellt Marco Schmidt von der IG Metall klar. „Man darf nicht unglaubwürdig werden, denn meist sind ja noch weitere Azubis im Unternehmen beschäftigt“, sind sich auch die Workshopteilnehmer einig. Doch trotz allem gilt: „Die Messlatte für eine Kündigung liegt bei Azubis viel höher als bei normalen Angestellten. Da muss schon viel zusammen kommen“, weiß Schmidt.
Doch dies sollte sowieso die Ausnahme darstellen. Das Ausbildungs-Forum will vor allem Möglichkeiten aufzeigen, gute Auszubildende zu finden, Lernschwache zu unterstützen, Potenziale richtig einzuschätzen und vor allem als Ausbilder motivierend einzuwirken. Denn der demografische Wandel kann auch eine Chance sein: Für all diejenigen, die aufgrund schlechterer Grundvoraussetzungen früher keinen Ausbildungsplatz gefunden hätten.