Burbach (jh) – Sie sind nicht zu übersehen. Die Masse macht’s. Über Wilnsdorf wurden sie schon gesichtet, über Neunkirchen, Burbach, Mudersbach und Freudenberg. Sie kommen aus dem Nichts. Plötzlich sind sie da. Ein schier endloses, wogendes Band aus lebenden Wesen. Sie bilden große, schwarze, pulsierende Wolken und verdunkeln den Himmel. Wolken aus kleinen, fliegenden Leibern. Die Geräuschkulisse ist ohrenbetäubend. Wie bei einem heftigen Regen. Aber es regnet keine Wassertropfen, sondern Bergfinken.
Es ist eine Invasion, wie sie Deutschland noch nicht erlebt hat. Und es ist ein unglaubliches (Natur-)Schauspiel. Eines, das man in dieser geballten Intensität vermutlich so schnell nicht wieder zu sehen bekommt. Aufgeteilt in einzelne Schwärme, die nach Zigtausenden zählen, suchen sie tagsüber die Region nach Futter ab – Bucheckern, ihre winterliche Leib- und Magenspeise. Und davon gibt es in diesem Jahr bei uns mehr als genug. Bergfinken sind die nördlichen Verwandten unserer Buchfinken, von Hause aus Skandinavier oder Russen. Vor Beginn des Winters verlassen sie ihre angestammten Brutgebiete, um in südlicher gelegenen Gefilden über die Runden zu kommen.
Die auch als Nordfinken bezeichneten Sperlingsvögel verteilen sich im Dreiländereck zwischen Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz weitläufig. Sie unternehmen, aufgeteilt in mehr oder weniger größere Pulks, von der Futtersuche diktierte Erkundungsflüge bis nach Olpe, Schmallenberg oder Bad Laasphe. In anderer Richtung führen ihre Exkursionen bis nach Gießen, ins Hessische Hinterland oder Richtung Waldbröl.
Pünktlich wie die Feuerwehr
Und dabei gilt: getrennt marschieren, vereint nächtigen. Die kleinen, flinken Kerlchen haben einen zentralen Schlafplatz, und der liegt jenseits der Nordrhein-Westfälischen Landesgrenze unweit der Kalteiche bei Haiger, in einem Waldstück am Sportgelände des Stadtteils Steinbach. Dort treffen sie Abend für Abend, aus allen Himmelsrichtungen kommend und pünktlich wie die Feuerwehr, nach und nach ein, kurz vor Einbruch der Dämmerung. Ornithologen schätzen ihre Gesamtzahl inzwischen auf vier Millionen. Je näher der Sonnenuntergang herangerückt, desto größer werden Schwärme. Es ist wie eine Kette ohne Ende. Der Zustrom will einfach nicht enden. Man sieht dann vor lauter Vögeln den Wald nicht mehr. Mit ihnen als Dekoration sehen die winterkahlen Äste aus, als wären sie dicht belaubt. Die Zweige biegen sich unter dem Gewicht. Die kleinen Piepmätze sitzen dicht an dicht, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Und plötzlich, abrupt, weicht die Kakophonie der Rufe einer Totenstille. Zapfenstreich. Zeit für die Heia. Beim ersten Büchsenlicht am nächsten Morgen wiederholt sich das Ganze dann in umgekehrter Abfolge.
Die Vögel sind längst zum Medienereignis geworden. TV-Teams der unterschiedlichsten Fernsehanstalten geben sich in Steinbach inzwischen die Klinke, Mikros und Kameras in die Hand. RTL, SAT 1, die Hessenschau, der WDR und unlängst auch das ZDF. Es berichtete in seiner Sendung „Drehscheibe“ darüber: http://youtu.be/p7OcSkGD6Hc.
Auch hat sich die Massenschlafstätte zu einer Art Wallfahrtsort für Naturfreunde und Fotografen gemausert. Sie kommen sogar aus Köln, München oder Mainz, um das Spektakel zu erleben. An den Wochenenden tummeln sich vor Ort bis zu 500 Schaulustige. Mehr zum Thema: www.rotorman.de/kuscheln-im-geaest-kein-zimmer-frei-oder-wie-man-sich-bettet-so-fliegt-man.
Text: Jürgen Heimann